Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Studentinnen der Kunstgeschichte praktizieren Provenienzforschung

Annika Zinger, Jana F. Schulz und Pia Mara Denkmann sind die ersten Studentinnen, die ein Objekt aus dem neuen Sammlungsschaufenster im Forum Wissen untersuchen. Es handelt sich um ein Genregemälde aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen. Im Rahmen eines Seminars zur Provenienzforschung bei der Kustodin Dr. Anne-Katrin Sors suchen sie nach Spuren, die etwas über die Geschichte des Objekts verraten ─ etwa wann das Gemälde in wessen Besitz war.

Karsten Heck, Referent für Sammlungsmanagement beim Forum Wissen, öffnet die Glasvitrine. Annika Zinger hebt das Bild mit ihren weiß behandschuhten Fingern vorsichtig heraus. Sie legt es behutsam auf einen Tisch im Inneren des Sammlungsschaufensters, das als Seminarraum dient.

Schwierige Recherche

Die Informationen, die die Studentinnen bislang haben, sind dünn: Die Kunstsammlung hatte das Gemälde 1966 von der Witwe des Schauspielers Eugen Dumont angekauft. Der Titel: Dorflandschaft mit zechenden Bauern. Der Künstler: Unbekannt. Die abgebildete Szene ist typisch für die niederländische Genremalerei des 16. und 17. Jahrhunderts, doch hat eine frühere Prüfung ergeben, dass es sich um eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts handeln muss. In dieser Zeit waren solche Szenen beliebt; d. h. es gibt viele ähnliche Bilder, was es nicht gerade leichter macht, das Bild genau zu identifizieren. Es hat etwas von der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Übrigens werden solche Prüfungen in der Fachsprache auch „Autopsien“ genannt. Ein Hinweis darauf, dass die Recherchen der Studentinnen der Kunstgeschichte durchaus Ähnlichkeiten mit den von Kriminolog*innen haben.

Spurensuche am Objekt

Annika Zinger legt das Gemälde so ab, dass die Rückseite des Rahmens sichtbar ist. Auf dem dunklen Holz ist eine Bleistiftnotiz zu erkennen: „Rahmen verkleinern“. Die drei Studentinnen vermuten, dass sie von einem Restaurator stammt, der das Werk im Auftrag der Universität begutachtete. Ansonsten gibt es kaum Hinweise, die etwas über die Identität des Bildes verraten könnten.

Jetzt dreht Pia Mara Denkmann das Gemälde vorsichtig herum. Die Dorflandschaft mit den zechenden Bauern ist zu sehen, eingefasst in einen breiten goldfarbenen Holzrahmen. Die Studentinnen betrachten die Oberfläche eingehend aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. „Man sieht nochmal viel mehr, wenn man das Bild direkt vor sich auf dem Tisch hat“, sagt Pia Mara Denkmann. „Der pastose Farbauftrag ist gut zu erkennen, wenn man sich über das Bild beugt“. An zwei Stellen ist die Schutzschicht, der über dem Ölgemälde liegende Firnis verändert. Diese sogenannten Fehlstellen könnten bei der weiteren Recherche einen Hinweis auf die Identität des Bildes liefern. Dazu werden sie in den nächsten Wochen Kataloge von Auktionshäusern und Bilddatenbanken durchforsten. Ihre Erkenntnisse finden wiederum Eingang in das Sammlungsportal der Universität Göttingen.

Recherche am Original

„Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Studierende der Kunstgeschichte an Originalen arbeiten,“ sagt Jana F. Schulz. An vielen anderen Universitäten, die nicht über eigene Sammlungen verfügen, gebe es diese Möglichkeit nicht. Die Kunstsammlung der Universität Göttingen ist nicht nur die älteste Kunstsammlung ihrer Art in Deutschland, sie ist auch in erster Linie eine Lehrsammlung. Bei Neuankäufen wird u. a. darauf geachtet, dass sie um bestimmte Epochen und Themen erweitert wird, die bislang nicht vertreten sind.

Die Arbeit am Objekt ist für heute abgeschlossen. Die zechenden Bauern werden wieder vorsichtig in die Vitrine gestellt. „Die Atmosphäre hier im Innern des Sammlungsschaufensters ist inspirierend“, sagt Jana F. Schulz, „umgeben von so vielen verschiedenen Objekten zu sein, ist toll, wenn man so objektverliebt ist wie wir“.

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